1. Leseprobe



August 1973 - Kyongbok Palast Seoul



Regen prasselte auf das Zeltdach über der Ausgrabungsstätte Nr. 27 auf dem Gelände des Kyongbok Palasts. Es war mitten in der Regenzeit, die Luftfeuchtigkeit lag bei nahezu 100 Prozent. Wasser tropfte von der alten Zeltplane auf die verrotteten Überreste eines kleinen Palastgebäudes. Gelegentlich wurden auch die zwei Grabungsmitarbeiter des Kulturministeriums getroffen. Bei all dem Schweiß der an ihren Körpern herunterlief, fiel ihnen das aber nicht weiter auf. In tagelanger, sorgfältiger Arbeit hatten sie das morsche Holz zur Seite geräumt und suchten nun den freigelegten Steinboden nach verborgenen Hohlräumen ab. Kurz nach der Mittagspause, sie hatten das einfache Reisgericht mit einer ordentlichen Portion des traditionellen Makoli Biers heruntergespült, gab der Jüngere der Beiden einen aufgeregten Schrei von sich:
„Schau mal, hier in der Ecke scheint es einen Kellerzugang zu geben. Die Steine sind locker. Gib mir mal die lange Brechstange. Dann können wir sie raus hebeln.“
„Bist Du verrückt geworden“, ließ sich der Ältere vernehmen. „Wir könnten dabei etwas beschädigen. Und wenn uns der Chef dabei erwischt, wie wir uns die Arbeit erleichtern, daran will ich lieber gar nicht denken. Wir könnten aber einfach so tun, als ob wir nichts gefunden haben. Diese Plackerei
bei der Hitze zieht sich schon zu lange hin. Lass uns die Sache hier abschließen.“
Der Jagdsinn des Jüngeren war nun aber geweckt.
„Kommt nicht in Frage. Die nächsten hundert Jahre schaut hier bestimmt nicht nochmal jemand nach. Wer weiß, was uns entgeht."
Und so
machten sie sich daran, die Steine mit den bloßen Händen herauszuziehen. Nach etwa einer Stunde war der vermutete Eingang tatsächlich freigelegt. Mit einer jovialen Handbewegung forderte der Ältere seinen Kollegen auf, als Erster die solide wirkende Steintreppe hinabzusteigen. Ausgerüstet mit Tüchern vor dem Mund und einer Taschenlampe, machten sie sich an die Erkundung des Hohlraumes. Dabei mußten sie den Kopf einziehen, um nicht an die niedrige Decke zu stoßen.
Zunächst war nur eine Menge undefinierbaren Schutts zu erkennen. Es roch stark nach Fäulnis. Die Versiegelung der Kellerwände war wohl von den jährlichen Regengüssen im Sommer oder nach der Schneeschmelze vom Wasser durchbrochen worden. Missmutig stelzte der Ältere mit seinen Gummistiefeln im Schutt umher, bis er auf etwas Spitzes trat. Fluchend zog er den schmerzenden Fuß aus dem Stiefel. Im Schein der Taschenlampe waren Bluttropfen am unbestrumften großen Zeh zu sehen.
Bring Du das hier mal zu Ende“, brummelte er den Jüngeren an. „Ich lass mich verbinden. Morgen beginnen wir dann bei der letzten Grabungsstätte.
Die Aussicht, allein in der stickigen, unterirdische Kammer weiterarbeiten zu müssen, versetzte dem Forscherdrang des Jüngeren einen Dämpfer. Durch den Unfall seines Kollegen gewarnt, holte er sich eine dünne Metallstange und stocherte damit vorsichtig auf dem Boden herum. Bald wurde er fündig. Mehrere blecherne Platten, deren Kantenlänge etwa einen Fuß betrug, kamen zum Vorschein. Als er mit dem Ärmel seines schweißdurchtränkten Hemds über die Oberfläche einer der Platten rieb, meinte er so etwas wie eine Sternenkarte zu erkennen. Da ihm jetzt der Schweiß in die Augen lief, beeilte er sich, das Metall nach oben zu schaffen.

Schließlich fand er auch den spitzen Gegenstand, der seinem Kollegen in den Zeh gedrungen war. Die Spitze war Teil eines astronomischen Beobachtungsinstruments. Ähnliche Vorrichtungen gab es in den wissenschaftsgeschichtlichen Asservatenkammern des Ministeriums zuhauf. Achtlos schmiss er das Instrument zu den Metallplatten.
Nach und nach zog er aus dem Schutt noch mehrere lange, erstaunlich gut erhaltene Bambusrohre, Rollen mit
stark verschimmeltem Stoff, sowie eine größere Anzahl an bearbeiteten, teilweise angefaulten Brettern. Zum Schluss, er wollte die Suche gerade beenden, stieß er auf ein in Wachstuch eingeschlagenes, dünnes Bündel. Auch dieses landete achtlos auf dem Haufen mit den anderen Fundstücken. Nachdem er sich den Staub aus den Kleidern geklopft hatte, verschloss er den Eingang der Kammer wieder mit den zuvor entfernten Steinen. In der verbleibenden Zeit bis zum Feierabend erstellte er eine Liste der Fundstücke und deren vermutetem Verwendungszweck. Bei den meisten Positionen vermerkte er ein „unbekannt“. 

Zufrieden machte er sich mit der Liste auf zum Gebäude der Grabungsverwaltung, um seinen Fund kundzutun. Für den Abtransport der Gegenstände und deren Reinigung sowie abschließende Interpretation würden andere Abteilungen sorgen. Er hatte für seinen kärglichen Lohn heute mehr als genug getan. Nach der Arbeit für das Kulturministerium wartete noch ein Zweitjob: Um das Studium seiner Tochter zu finanzieren, musste er mehrmals die Woche als Nachtportier in einem kleinen Hotel arbeiten.




Kommentare

  1. Der Roman faengt ja ganz spannend an. Wo bleiben aber die versprochenen Reisetipps? Ich lebe in Korea und finde nur wenig Tipps in Deutsch

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  2. Hab was gepostet. Schau mal, ob Dir die Reisetipps zusagen

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