2. Leseprobe
„Die Raumkoordinaten liegen innerhalb der empfohlenen Toleranzen. Wir müssten uns jetzt also im Bereich des Stringfeldes befinden“, verkündete Oh der Besatzung nach einigen Minuten angespannten Wartens.
„Das verstehe ich nicht“, meldete sich der technische Offizier Klaus Schmidt. „Wir sollen in das Stringfeld eingedrungen sein? Die Sensoren zeigen keinerlei erhöhte Strahlungsintensität außerhalb der Schiffshülle an. Auch die optische Wahrnehmung ist unverändert.“
„Wir wissen so gut wie nichts über dieses Feld“, erläuterte Missionskommandant James Park geduldig. Aber Deine Neugier wird gleich befriedigt werden. Bitte Meldung über den Status der Schiffssysteme machen.“
„Lebenserhaltungssysteme sind grün, chemischer Antrieb ist gesichert, Spannungsversorgung auf 102%, Resonator ist bereit“, kam die prompte Erwiderung.
Daraufhin schloss Park das Visier seines Helms und aktivierte die Lebenserhaltungssysteme des Raumanzugs. Die anderen Besatzungsmitglieder taten es ihm gleich. Eigentlich hatte er zu diesem Zeitpunkt eine kurze, vorbereitete Rede an seine Crew richten wollen. Doch angesichts der bevorstehenden Reise schauderte ihm nun doch ein wenig und er brachte nur ein „Shi jag-i pan-i da“ heraus.
Park konnte auf eine fast zwanzigjährige Erfahrung als Kapitän in der koreanischen Handelsmarine zurückblicken. Das hatte ihm zweifelsohne bei der Berufung zum Kommandanten der Ulsan geholfen. Den Ausschlag hatten aber seine unerschütterliche Ruhe und der ausgeprägte Hang zur Improvisation gegeben. Nach Meinung ehemaliger Vorgesetzter neigte er allerdings zu einer recht großzügigen Auslegung der disziplinarischen Vorschriften.
Nachdem er sich nochmals versichert hatte, dass die Statusanzeigen auf dem Hauptkontrollschirm vor ihm alle Grün zeigten, klappte er nun mit dem rechten Handschuh eine orange Schutzabdeckung auf der Konsole zwischen seinem Sitz und dem des Navigators hoch und legte den darunter befindlichen Schalter um. Der Vorgang erzeugte ein sattes Klickgeräusch. Zunächst passierte nichts, als der etwa 10 Meter Durchmesser große Multilayer Spiegel des Resonators im hinteren Teil des Schiffs durch Schrittmotoren langsam verschoben wurde. Alle starten gebannt auf den mechanischen Beschleunigungsmesser über dem Hauptkontrollschirm.
„Es wird so um die 15 Minuten dauern, bis der Spiegel seine Position erreicht und der Resonator sich auf das Stringfeld gekoppelt hat“, ließ sich Bordärztin Dr. Jisu Han durch den Bordkommunikator vernehmen. Das war allen Besatzungsmitgliedern vom Missionstraining bekannt, aber sie wollte mit ihrer Bemerkung die Spannung etwas abbauen. Immerhin handelte es sich um die erste Reise mit dem bisher unerprobten Antrieb. Die Ärztin war die Einzige, die während der Flugphase nicht mit den Schiffskontrollen beschäftigt war. Und so konnte sie es sich erlauben, die Gedanken schweifen zu lassen.
Gerade hatte der Navigator den Ausschnitt der hinteren Außenkamera auf einen der Bildschirme des Flugdecks gelegt. Dort erschien nun ein riesig wirkender Mond mit der bläulich schimmernden Erdkugel im Hintergrund. Jisu Han fixierte das Bild mit ihren Mandelaugen und wurde dabei von einer Welle der Hilflosigkeit erfasst:
„Ob ich das jemals wiedersehen werde?“, gab sie ihren Gefühlen Ausdruck.„Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um heil zurückzukommen und das Missionsziel zu erfüllen“, entgegnete der Kommandant bestimmt. „Lasst uns nach vorne schauen. Als wir uns für die Teilnahme an der Expedition entschieden haben, war klar, dass es sich um ein Experiment handeln würde. Wie ich, seid Ihr doch auch unzufrieden mit den Jobs auf der Erde gewesen. Wir haben hier genau das bekommen, was jeder von uns gesucht hat.“ Nach diesen Worten löschte er das Mond-Erde Panorama vom Schirm und ersetzte es durch eine Vergrößerung der Zielregion Alpha Centauri.
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