3. Leseprobe



September 1973 - Aerodynamisches Institut Daejeon

Die große Versuchshalle war erfüllt von einem tosenden Lärm. Es hörte sich an, als ob ein Taifun über das Institut hinwegfegen würde. Der mächtige Impellerantrieb des Windkanals lief auf vollen Touren und schickte einen gleichmäßigen Luftstrom durch die Anlage. Vor der eigentlichen Versuchsstrecke verengte sich die Luftführung und erhöhte so noch einmal die Strömungsgeschwindigkeit. Gerade war ein Techniker dabei, die Kräfte an einem kleinen Modell zu vermessen. Dies geschah durch Federwaagen, an denen die Nachbildung des offenen, zweisitzigen Flugzeugs im Windkanal aufgehängt war.
„Das Ding kann nie geflogen sein,“ erklärte der Techniker seinem Chef. Er musste schreien, um sich bei dem Lärm in der Halle verständlich zu machen. „Das Tragflächenprofil ist in Ordnung. Aber der Schwerpunkt stimmt nicht. Die Maschine würde sich im freien Flug sofort auf die Nase stellen und nach vorn abkippen. Wir haben das Modell exakt nach Ihren Angaben gebaut und auch das Gewicht zweier Passagiere berücksichtigt.“ Dabei zeigte er auf die Bleistücke, die an den angedeuteten Sitzen mit Klebstoff befestigt waren.
Der Chefingenieur des Instituts nickte. „Wir müssen etwas übersehen haben", schrie er dem Techniker zu. Dieser hatte inzwischen die Dehnung der Federwaagen für verschiedene Windgeschwindigkeiten notiert. Der Chefingenieur wollte gerade auf den Ausschaltknopf für den Impellerantrieb drücken, da fiel sein Blick auf die Narbe an seinem rechten Zeigefinger. Bei dem Flugmodell seines Sohnes war hinter den Tragflächen ein kleiner Benzinmotor angebracht. Beim Anwerfen hatte der ab und zu wegen einer Fehlzündung zurückgeschlagen, und der Propeller dabei einmal mit voller Wucht den Finger getroffen. Das war es: So ein Antriebsaggregat hinter der Tragfläche würde auch das Windkanalmodell ins Gleichgewicht bringen. Wahrscheinlich hatte sich bisher sein Unterbewusstsein gegen diese, aus technischer Sicht naheliegende, Möglichkeit gesträubt. Schnell griff er sich ein herumliegendes Bleigewicht und befestigte es mit Doppelklebeband am Rumpf: Schon besser, aber noch nicht perfekt. Auf ein Handzeichen hin tauschte der Techniker das Gewicht gegen ein Größeres aus. Der erneute Blick auf die Federwaagen bestätigte die Vermutung: Das Modell hing jetzt eigenstabil in der Windkanalströmung.
Plötzlich klopfte dem Chefingenieur jemand von hinten auf die Schulter. Erschrocken fuhr er herum. Einer der wissenschaftlichen Assistenten des Instituts war, wegen des Lärms unbemerkt, hereingekommen und drückte ihm ein Fax in die Hand. Der Techniker hatte inzwischen die Stromzufuhr für den Antrieb des Windkanals abgeschaltet. Langsam reduzierte sich die Drehzahl des Impellers und es wurde ruhig in der Halle. Der Chefingenieur nahm das aber nicht mehr bewusst wahr. Sein Blick wanderte mehrfach zwischen Modell und Fax hin und her. Die Zahlen auf dem Blatt ergaben keinen Sinn. Seine Kollegen von der chemischen Fakultät mussten die Probe bei der Altersbestimmung mittels Radiokarbondatierung verunreinigt haben.

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